Der Besondere

Hunde zu sitten ist enorm spannend: Wie wird der neue Hund die ersten zwei, drei Tage bewältigen - was zeigt er wie, was kann er, was weniger. Was für ein Hund begleitet mich, sobald sich die erste Unsicherheit legt?

Die Geschichte mit Johnson war besonders und begann so: Zehn Tage sollte er bei mir verbringen, weil die Halter herausfinden wollten, ob die Allergie ihres Kindes abklingt, wenn der Hund aus dem Haus ist. Vorgestellt wurde er mir mit ein paar Eckdaten: Labradoodle, um die 18 Kilo, erster Hund der Familie, lieb, wild und eigenwillig, ein Jahr alt. Aber auch: jagt Jogger und Radfahrer, hat schon einen Menschen gezwickt, ist hochgradig futterallergisch, bekommt ein Medikament (Apocel) und darf ausschließlich Straußenfleisch fressen - 1,6 kg täglich, also zwei Mal 800 g – das sind zwei große Dosen.

Nächste Teile des Bildes ergaben sich beim Übergabe-Spaziergang mit Herrchen. Ich fragte ich mich, ob der nette, freundliche junge Mann den Hund mag und das fragte ich auch ihn: "Der ist mir egal, ich wollte keinen Hund." Anders als seine Frau, die wollte und liebte diesen Hund und tat alles, um mit ihm klarzukommen. Dazu zwei kleine Kinder, viel Unruhe und damit wenig Tiefschlaf, jemand, der ihn also nicht mag und ignoriert (das ist äußerst irritierend für einen Hund und sorgt für noch mehr Unruhe in seinem System).
Johnsons Haltungsbedingungen waren sicher alles andere als schlecht, sie waren nur für diesen "Modezüchtungs"-Hund nicht passend und ungünstig - was sich in unseren ersten gemeinsamen Tagen verdeutlichte.

Der bildschöne, hüfthohe, athletische Rüde mit seinem wirren, langen Fell war eigenwillig, unreif, schnell erregbar, kochte also wegen jedem und allem total schnell hoch und konnte sich so gut wie nicht selbst wieder runterbringen/-regulieren. Ein sehr lustiger, aber anfordernder Hund war da gelandet, dessen Fell ständig juckte und dessen Wesen unkonzentriert war. Im Spiel mit anderen Hunden draufgängerisch und grob, mit Menschen aufgeregt und überschwänglich. Und unerzogen, mal abgesehen von Sitz, Platz, Bleib... wenig Impulskontrolle, keine Selbstregulation, schnell frustriert. Mit seinem Cortisol-Spiegel (Stresshormon) hätte man Preise gewonnen.
Und schon klar: Für Hunde-Anfänger*innen, die keine Zeit und Idee haben, wie man einem Hund konsequent ein gutes Leben vermittelt, nur schwer zu handlen.

Meine Idee zu Johnson war, ihn zu beruhigen. Denn trotz seiner energiegeladenen Freude und Sprunghaftigkeit kam er mir müde und erschöpft vor. Wir schliefen also viel und ich meine tatsächlich WIR - er bevorzugte Vollkontakt, eine Knutschnudel sondergleichen. Das ich mich mit ihm hinlege oder nur wenig im Raum bewege macht Sinn bis zu jenem Überzeugungs-Moment, an dem der Hund glauben kann, dass er die Kontrolle aufgeben kann. Dass ich nicht weglaufe und er mir nicht nach muss. Und er tief schlafen kann, auch wenn ich mich bewege.

Zudem ging es bei Johnsen darum, nicht auf seine „Spinnereien“ einzugehen, ihn mit voller Zugewandtheit ansprechbarer und gleichzeitig in Ruhe zu bekommen. Ihm klare Verhaltensregeln zu vermitteln (es wird nicht gesprungen, geschnappt, tatsächlich geschlafen und nicht an mir gekaut, auch nicht am Teppich oder Tisch, nicht Fangen gespielt ...) – einfach nur Da-Sein.
Die zehn Tage liefen gut und obwohl das nicht das einfachste Sitting war, kam und war ich dieser Hundeseele sehr nahe. Wir haben gemeinsam etwas geschafft und haben uns aufeinander eingestellt.

Als Johnson wieder von seiner Halterin abgeholt wurde, fragte sie mich, ob ich einen guten Platz für ihn wüsste. Bei Rausgehen drehte sich Johnson in der Tür um, schaute mich mit seinen wahnsinnig schönen Augen an und etwas in mir sagte: Ja, ich!
Ein paar Wochen später zog er bei mir ein - und an diesem Punkt möchte ich sagen, dass sein Frauchen ihn mit richtig schwerem Herzen abgab, aber trotzdem für den Hund handelte. Dafür hat sie bis heute meinen aufrichtigen Respekt. Ich meinerseits traf mit Johnson eine Vereinbarung: Wenn dir meine Lebensumstände nicht behagen, suche ich dir einen Königsplatz. Und so kam es, dass Johnson sich in eine Hunde-Kundin von mir verliebte: die Spanierin. Zusammen mit der wunderbaren Halterin, die bereit für einen zweiten Hund war, hat sich eine großartige Gruppe gebildet. Johnsen braucht längstens keine Medikamente mehr, frisst 450 g normales Futter pro Tag und wächst täglich in Richtung souveräner Hund. Seine Hundebegegnungen sind vorbildlich. Ein absolut balancierter Hund ist und wird er natürlich nicht, die Gene mischen ein Leben lang mit, die Erfahrungen als Welpe auch. Aber: Johnson hat es richtig gut erwischt, sein Tagesablauf ist geregelt mit ritualisierten Abläufen, er vertraut seiner Halterin - er ließ sich ein, ihr zu folgen - mit guten Grund, sie macht das großartig.

Und ich darf Johnsen regelmäßig sitten – es ist schön für mich ihn noch zu treffen, diesen feinen Hund.

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An dieser Stelle möchte ich allen, die mit einem Hund leben wollen, die Bücher von Sophie Strodtbeck empfehlen. Tierärztin, Verhaltensmedizinerin, Resilienztrainerin, entspannte HundeGruppenChefin und eine witzige, leidenschaftliche Autorin und großartige Hunde-Fotografin.
Hier einige ihrer Titel, die ich sehr schätze:

"Vom Welpen zum Senior" und der Start mit Ihrem geliebten Hund wird ein besserer, das Leben mit dem Hund einfacher und richtig gut.

Hilfe, mein Hund ist in der Pubertät“ widmet sich der Sozialisationsphase, wenn der Welpe zum Junghund wird. Man erfährt extrem viel dazu, wie eine gute Sozialisation bei Hunden aussehen sollte, damit sie nicht wie Johnson jahrelang trainieren müssen, um Fehler auszubügeln. Und, wie Hund und Mensch die anstrengende Zeit, in der die Hundehormone kreisen, gut überstehen.

„Sexualverhalten Hormone Kastration“ ist ihr jüngstes Buch und halte ich ebenfalls für wichtig, spannend zu lesen ist es ausserdem.

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